Saturday, January 20, 2007

Wer wird Rezensent? Die Verkaufsplattform "Amazon" zum Mitmachen für jeden

- Einleitung


Amazon gilt als Schreckgespenst für den stationären Buchhandel. Gerade kleinere Geschäfte werden durch den Großkonzern geschädigt. Die Kundschaft bleibt aus, denn der Mensch mag es bequem: Wer seinen Einkauf mit zwei Klicks von zu Hause aus erledigen kann, spart sich gern den Weg zur nächsten Buchhandlung.

Auch den Verlagen schlottern die Knie. Die Auseinandersetzungen zwischen Amazon und dem Rockbuch-Verlag haben gezeigt, welche vernichtenden Folgen einzelne im Internet publizierte Meinungen haben können. Der Kleinverlag beklagte, dass verschiedene Bücher seines Programms auf den Seiten der Verkaufsplattform massiv angegriffen wurden, was sich geschäftsschädigend auswirkte. Und Rockbuch sieht sich in bester Gesellschaft: Econ, einer der führenden Sachbuchverlage, erlitt ähnliche Angriffe. Der Autor Boris Reitschuster wurde in Amazon-Rezensionen für sein kritisches Werk "Putins Demokratur" unter anderem als "Teufelsanbeter" beschimpft.

Diese Vorfälle lassen die Frage aufkommen: Darf jeder bei Amazon schreiben, was er will? Im Prinzip, ja. Jeder registrierte User die Möglichkeit, seine persönliche Kritik zu einem Buch auf der zugehörigen Artikelseite zu publizieren. So besteht für Hinz und Kunz die Chance, mit der eigenen Buchrezension auf einer von Millionen von Menschen besuchten Internetplattform Ruhm zu ernten. Aber nicht alles ist erlaubt: Eine Kundenrezension muss bestimmte Richtlinien einhalten. In einem Selbstversuch haben „Ovid37“, „Max König“ und fußballBernd79die Grenzen der Akzeptanz im Hause Amazon ausgetestet. Nichts blieb dabei unversucht. Die erste Kritik, in der andere Rezensenten beleidigt werden, wird wie erwartet nicht online gestellt. Die zweite ist trotz inhaltlicher Fehler und unmöglichen Stils wenige Stunden nach dem Absenden auf der Artikelseite zu lesen. Als letztes versucht „Ovid37“ ein waschechtes Plagiat zu veröffentlichen und hat Erfolg. Der Artikel beleidigt niemanden und ist in seiner Form korrekt, also wird er eingestellt. Erst als sich der echte Verfasser zu Wort meldet, wird der Konzern auf seinen Nachlässigkeit aufmerksam und der Text gelöscht. Die angekündigten Maßnahmen wurden nie durchgeführt. Auch fühlt sich Amazon juristisch nicht verantwortlich.

Der Internethändler kümmert sich offensichtlich wenig, um die Qualität und Seriosität der Kundenrezensionen. So unterscheiden sie sich stark von Kritiken, die man aus den Feuilletons von Zeitungen und Magazinen kennt. Zuerst fällt der geringe Umfang ins Auge. Professionelle Literaturkritiker können mit Ihrer Meinung ganze Zeitungsseiten füllen, die Amazon-User hingegen kommentieren ein Werk oft nur mit wenigen Phrasen. Meist ein locker formuliertes Statement, das nur den subjektiven Leseeindruck schildert. Die Bewertung beschränkt sich auf kurze Prädikate wie „lustig“, „spannend“, „unterhaltsam“. Von einem hohen literarischen Anspruch, wie ihn Rezensionen von hauptberuflichen Kulturjournalisten oft haben, keine Spur. Ijoma Mangold beschreibt und bewertet in seiner Rezension zu „Beim Häuten der Zwiebel“ im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 19.08.2006 mit einer geschliffenen Sprache auf höchst detaillierte Art und Weise Grass’ Sprachstil und die literarische Form seines Werks. Ein Amazon-Kunde hingegen kommentiert das Werk mit einigen kurzen Worten: „Günter Grass hat hier seine wunderbare Lebensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch ist mitreißend, fesselnd und absolut authentisch. Die Kapitel über die Jugend, den Krieg lassen mich als jungen Menschen nicht mehr los. Die rhetorischen Fähigkeiten Grass' werden in diesem Buch ein weiteres mal bewiesen.“ Der Nutzwert einer solchen Rezension für Kunden, die sich ausgiebig über die Qualität eines literarischen Werks informieren wollen, ist eher zweifelhaft.

Die Funktion „Kundenrezension“ scheint so eher für die Bewertung eines Staubsaugers als für die eines literarischen Werkes geeignet. Wahrscheinlich genau aus diesem Grund findet man auf den Produktseiten zu Büchern oftmals noch eine Kritik der „Amazon.de Redaktion“. Diese Texte sind eher an feuilletonistische Literaturrezensionen angelehnt, auch wenn die Autoren meist wenig bekannt sind. Nur für die Rezensionen von wichtigen Werken mit Bestsellerpotential beauftragt Amazon namhafte Journalisten, wie Thomas Köster für die Kritik des oben genannten „Beim Häuten der Zwiebel“, der unter anderem für Die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel geschrieben hat. Bei weniger erfolgreichen Büchern beschränkt sich Amazon auf den Abdruck des Verlags- oder Klappentexts.

Nun interessiert natürlich, wer oder was diese mysteriöse „Amazon-Redaktion“ sein soll, die Bücher für die Kunden rezensiert und vorstellt. Die mühselige Suche nach einem Kontakt, der Licht ins Dunkel bringen soll, führt zu einer Emailadresse und einer Telefonnummer. Das Anschreiben jener Adresse lehrt jedoch Geduld, denn auf eine Antwort zu warten ist vergeblich, und wenn doch erhält man nur die spärliche Aussage, dass aufgrund der vielen Anfragen Amazon nicht ausführlich antworten könne, und eine Zusammenfassung der Eigendefinition des Betriebes: Es handele sich bei der Redaktion um Firmeninterna. Und sogar die Kontaktaufnahme mit den Mitgliedern der Redaktion scheitert, da auch sie sich weigern, Informationen preiszugeben. Das Mysterium um diese ominöse Arbeitsgruppe der Verkaufsplattform wächst. Sitzen die Redakteure in einem abgeschotteten Bunker unter Bad Hersfeld und werden als Amazon-Geheimagenten von der Öffentlichkeit fern gehalten, um für die Verlage werbewirksam eine pseudo-objektive Meinung zu präsentieren? Das wohlbehütete Geheimnis wird sich wohl nie lüften.

Weder die Kundenrezensionen, noch die Amazon-Redaktion sind ernsthafte Konkurrenz für den klassischen Literaturjournalismus.

- Schluss

S.H. und D.H.

0 Comments:

Post a Comment

<< Home