Friday, October 20, 2006

Frankfurter Rundschau, 03.02.06: Weg zum Leser - Onlinehändler Amazon gibt Buchautoren das Wort

VON JANKO RÖTTGERS

Der Online-Buchhändler Amazon hat Kundenrezensionen populär gemacht. Ganz gleich, ob Kochbücher oder literarische Meisterwerke: Zu fast jedem Titel gibt es dort mehr oder weniger begeisterte Lesermeinungen. Bisher mussten Autoren die Kritik kommentarlos hinnehmen. Seit Mittwoch gibt es auf der US-Website von Amazon eine Möglichkeit zur Widerrede: Ein Angebot namens Amazon Connect erlaubt Buchautoren, eigene Weblogs zu betreiben.

Amazon Connect begann Ende vergangenen Jahres als Feldversuch mit rund 20 Autoren. So berichtet die New Yorker Schriftstellerin Aimee Friedman in ihrem Blog davon, welche Bücher sie gerne in der U-Bahn liest. Der Washingtoner Wissenschaftsjournalist Chris Mooney lässt seine Leser wissen, wann er im TV zu Gast ist. Das Autorenduo Romentics erklärt seinen Fans, wie sie handsignierte Exemplare ihrer schwulen Liebesgeschichten erstehen können. Viele Autoren bieten zudem Links zu ihren Webseiten oder Mailadressen für einen direkten Kontakt an.


Rezensionen der Kunden müssen nicht mehr unwidersprochen bleiben

Seit Mittwoch erscheinen diese Weblog-Einträge direkt auf der Amazon-Startseite von Lesern, die sich ein Buch eines teilnehmenden Autors gekauft haben. Auch auf den Buch-Detailseiten finden sich Auszüge aus den Weblogs. Dazu besitzt jeder bloggende Autor eine eigene Seite, die den Lesern auch Möglichkeiten zum Kommentieren der Einträge gibt. Die neue Amazon-Blogger zeigen sich bisher begeistert. "Das ist ein aufregender neuer Weg, die Lücke zwischen Leser und Autor zu schließen", sagt etwa Doranna Durgin.

Lobende Worte gibt es auch von Jeff Carlson: "Da Amazon die ganze Sache betreibt, werden es viel mehr Autoren ausprobieren, die sich nicht am Einrichten einer eigenen Webseite oder eines eigenen Blogs versuchen würden." Carlson schrecken solche technischen Details nicht ab. Er hat bereits zahlreiche Bücher zu Webdesign und verwandten Technik-Themen verfasst. Trotzdem sieht er in Amazon Connect auch für sich ein spannendes Experiment. "Es wird interessant sein, zu sehen, ob es sich auf meine Verkäufe auswirkt", sagt Carlson. "Wird diese Art von Interaktion jemanden vom Kauf eines Buchs überzeugen?"

Amazon ist davon überzeugt, mit der direkten Einbindung von Lesern und Schreibern Kunden an seine Plattform zu binden. Die Firma kann dazu auf den Erfolg ihrer Kundenrezensionen verweisen. Anfangs wurden diese von Autoren und Verlagen eher misstrauisch beäugt. Doch mittlerweile haben sich Amazon-Rezensenten besonders in den USA als feste Größe im Buchmarkt etabliert. Die bekanntesten Rezensenten bekommen dort jeden Monat dutzende kostenfreie Ansichtsexemplare von Verlagen zugeschickt. Die Website zählt eine Million registrierte Amateur-Rezensenten.

Autoren wiederum sehen in Online-Händlern wie Amazon zunehmend ihre einzige Chance, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Der Buchmarkt konzentriert sich vermehrt auf wenige, gut verkäufliche Titel. Geld verdient wird mit "Harry Potter" und Dan Brown, Nischenprodukte und Kleinverlage müssen der Massenware weichen. Die Zahl der klassischen Buchhandlungen sinkt zudem beständig. So werden in Deutschland nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung nur noch knapp 56 Prozent der Bücher über den Sortiment-Buchhandel verkauft. Kaufhäuser, Zeitungskioske, Tankstellen und weitere "sonstige Verkaufsstellen" verbuchen gut 13 Prozent. Nachwuchsautoren sucht man dort vergebens.

Der Trend zur Massenware Buch führt dazu, dass Verbraucher Bücher kaum noch beim Durchblättern entdecken. Online-Händler versuchen deshalb, ihren Kunden neue Zugänge zu ihrem Katalog zu bieten. Amazon bietet seit geraumer Zeit an, ausgewählte Bücher am Bildschirm anzulesen. Das Unternehmen experimentiert mit einer weiteren Form von Kundenrezensionen: Verbraucher sollen Bücher und andere Produkte künftig nach dem Prinzip der Online-Enzyklopädie Wikipedia besprechen und damit eine Art basisdemokratisches Kritiker-Lexikon entwickeln.

Unter Autoren werfen all diese Interaktionsformen Fragen auf. So bemerkte die Liebesgeschichten-Autorin Monika Jackson auf ihrer Webseite, dass sie Schwierigkeiten habe, den richtigen Tonfall für ihr Amazon-Blog zu finden. Aufdringliche Werbung sei dafür tabu, jammern und Publikumsbeschimpungen ebenfalls. Wer das Medium erfolgreich nutzen wolle, sollte am besten gleich alle kontroversen Themen vermeiden. "Niemand will Leser kurz vor der Kaufentscheidung abschrecken", sagt Jackson.

www.amazon.com/gp/arms/directory/

Erklärkasten: Literatur-Debatten

Amazon Deutschland bietet seinen Nutzern die Möglichkeit, Bücher zu besprechen. Autoren können dort bisher allerdings noch keine Weblogs einrichten (www.amazon.de).

Literatur-Café: Einen direkteren Austausch bietet das Forum des Literatur-Cafés. Dort können Autoren mit Lesern diskutieren und ihre Texte auch direkt online veröffentlichen.

Die Webseite bietet zudem Rezensionen, Nachrichten und Interviews zum Literaturbetrieb an (www.literaturcafe.de).

Bücherwiki: Am Aufbau eines interaktiven Lese-Lexikons versucht man sich beim Bücherwiki. ött

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